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Manfred Kappeler - Kritischer Rückblick auf die Arbeit des Runden Tisches Heimerziehung

Manfred Kappeler

Statt Aufklärung, Rehabilitation und Entschädigung – Verharmlosung und Schadensbegrenzung. – Ein kritischer Rückblick auf den „Runden Tisch Heimerziehung“.

In den „Widersprüchen“ Heft 111 (März 2009) habe ich ausführlich über den Prozess
berichtet, der zur Einrichtung des „Runden Tisches Heimerziehung“ (RTH) geführt hat.
Dieser Prozess ist in der Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland ohne
Beispiel. Er zeigt zweierlei: 1. was Menschen erreichen können,, denen es gelingt, eine breite
Öffentlichkeit für das zu interessieren, was ihnen in einem staatlich zu verantwortenden
System an Unrecht und Leid zugefügt worden ist und 2. mit welchen Strategien und
Methoden es den in der Kritik stehenden und mit Entschädigungsforderungen der Opfer
konfrontierten Institutionen (Bund, Länder, kommunale Spitzenverbände, Kirchen und ihren
Wohlfahrtsverbänden und Ordensgemeinschaften) gelingt, ihre Vergangenheitsschuld zu
bagatellisieren, die Kritik abzuwehren und die wesentlichen Forderungen der Geschädigten
abzulehnen.
Von den ersten Medienberichten über die Gewalterfahrungen von Kindern/Jugendlichen in
westdeutschen Heimen der Jugendhilfe während der 40er bis 70er Jahre bis zur Einrichtung
des RTH hat es fast sechs Jahre gedauert. Durch den 2003 in Cannes preisgekrönten
britischen Film „Die unbarmherzigen Schwestern“, in dem das Leiden von Mädchen in
irischen katholischen Erziehungsheimen gezeigt wurde, fanden immer mehr Frauen und
Männer im Alter zwischen 50 und 80 Jahren den Mut, über ausbeutende Kinder- und
Zwangsarbeit, verweigerte Bildung, Demütigungen aller Art, körperliche Züchtigungen und
sexuelle Gewalt, die sie in Einrichtungen der Jugendhilfe erleiden mussten, öffentlich zu
reden und zu schreiben. Auch die an demütigenden und z.T. rechtswidrigen
Heimunterbringungen, den „Wegen ins Heim“, beteiligten Jugendämter,
Vormundschaftsgerichte, Kinder- und Jugendpsychiatrie und die für die Heimaufsicht
verantwortlichen Behörden (überwiegend Landesjugendämter) gerieten in die Kritik. (Vgl.
dazu Kappeler 2011 b). In allen Medien kamen ZeitzeugInnen zu Wort und die Orte des
Schreckens wurden von JournalistInnen aufgesucht. Die heute für die „Täterorganisationen“
Verantwortlichen mussten sich drängenden und für sie äußerst unangenehmen Fragen stellen.
Sie versuchten die Verantwortung der Institutionen für das den Kindern/Jugendlichen
angetane Unrecht durch diverse bagatellisierende Sprachregelungen abzuwehren: „Das waren
bedauerliche Einzelfälle. Die Jugendhilfe insgesamt hat ihren dem Kindeswohl verpflichteten
Auftrag zu jedem Zeitpunkt erfüllt“ oder: „Eine gewissen Härte in der Erziehung war in jenen
Jahren üblich und entsprach dem Zeitgeist. Es ist ungerecht und unhistorisch, im Nachhinein,
unter Anwendung heutiger Erkenntnisse und Erziehungsgrundsätze, die Heimerziehung der
Nachkriegszeit zu verurteilen. Die Heimerziehung konnte auch nicht besser sein, als die
Gesellschaft, zu der sie gehörte“ (Vgl. dazu Kappeler 2008 a).
Den Durchbruch zu einer breiten öffentlichen Empörung über die Lebensbedingungen und die
Erziehungspraxis in Heimen der Kirchen und des Staates brachte 2006 das Buch des Spiegel-
Journalisten Peter Wensierski „Schläge im Namen des Herrn – Die verdrängte Geschichte der
Heimkinder in der Bundesrepublik“. Inzwischen hatte sich ein „Verein ehemaliger
Heimkinder e.V.“ (VeH) gegründet und verschiedene andere Netzwerke und regionale
Gruppen ehemaliger Heimkinder waren entstanden. Mit dem Rückenwind der öffentlichen
Empörung reichten einige Frauen und Männer aus diesen Zusammenschlüssen im Sommer
2006 eine Petition beim Petitionsausschuss des Bundestages ein, die sehr erfolgreich war. Die
Abgeordneten in diesem Gremium waren erschüttert von den ihnen vorgetragenen
Heimerfahrungen und den lebenslangen Folgen, die diese in der Kindheit und/oder Jugend
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gemachten Erfahrungen haben. Nach Anhörungen der PetentInnen, der VertreterInnen
öffentlicher und freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Kirchen und einem
Expertenhearing mit Erziehungswissenschaftlern, Juristen, einem Traumatologen und einem
Historiker, bat der Petitionsausschuss den „Bundesverband für Erziehungshilfe e.V.“ (AFET)
und das „Deutsche Institut für Jugend- und Familienrecht“ (DIJUV) um einen Projektentwurf
für die Aufklärung des Kindern/Jugendlichen in der Heimerziehung zugefügten Unrechts und
Leids, mit dem Ziel der Rehabilitation und Entschädigung der Überlebenden. Der Entwurf
enthielt einen Kostenplan für das Projekt (ca. 1 Mill. Euro für eine Laufzeit von 30 Monaten).
Er wurde in enger Abstimmung mit ehemaligen Heimkindern erarbeitet und vom
Petitionsausschuss akzeptiert. Im November 2008 wurde der Bericht des Petitionsauschusses,
einschließlich des Projektentwurfs zur Einrichtung eines „Runden Tisches“, dem Plenum des
Bundestages zugeleitet und von diesem am 4.Dezember 2008 einstimmig angenommen.
Bundestagspräsident Lammert äußerte die Erwartung, dass der von der ehemaligen
Vizepräsidentin und Grünenpolitikerin Antje Vollmer moderierte RTH „Licht in dieses
dunkle Kapitel der Bundsrepublik“ bringen werde.
Bis zur Einsetzung des RTH durch den Bundestag, war die Initiative der ehemaligen
Heimkinder eine Erfolgsgeschichte, die alle Widerstände der Kirchen und ihrer Verbände, der
Jugendministerkonferenz und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter gegen
eine Aufklärung der gewaltförmigen Erziehungspraxis in westdeutschen Heimen (Vgl. dazu
Kappeler 2008 a) scheinbar überwunden hatte. Die Freude und die Erwartungen der
Ehemaligen und ihrer UnterstützerInnen waren groß. Schließlich hatte das höchste politische
Gremium der Bundesrepublik das Kindern/Jugendlichen in der Heimerziehung zugefügte
Unrecht und Leid anerkannt und die verantwortlichen Institutionen verpflichtet, die Ursachen
und das Ausmaß dieses Unrechts unter substanzieller Beteiligung ehemaliger Heimkinder
aufzuklären und Empfehlungen zur Rehabilitation und Entschädigung der Opfer zu erarbeiten.
Mit dieser Arbeit sollte angesichts des fortgeschrittenen Alters der meisten Ehemaligen
unverzüglich begonnnen werden. Bezüglich der Reichweite der „Empfehlungen“ und der
Methoden der Aufklärung, ließ das Parlament dem RTH freie Hand.
Schon wenige Tage nach dem Bundestagsbeschluss zeigte sich indes, dass die politisch in die
Pflicht genommenen Institutionen sich darauf vorbereitet hatten, unter Federführung des
Bundfesfamilienministeriums (Ministerin v.d. Leyen) den Beschluss zu unterlaufen und in
den entscheidenden Punkten auszuhebeln. Statt eines unabhängigen Gremiums sollte eine
„Arbeitsgruppe“ im Ministerium, bestehend aus von der Ministerin berufenen Mitgliedern,
unter Leitung einer Abteilungsleiterin, die „Aufarbeitung“ ( von „Aufklärung“ wurde nicht
mehr gesprochen) betreiben. Die fachliche Beratung der Arbeitsgruppe sollte anstelle von
AFET und DIJUF der „Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge“ (DV)
übernehmen, der an dem ganzen Prozess nicht beteiligt war, keine Kontakte mit
VertreterInnen der ehemaligen Heimkinder hatte und unter den
Fachverbänden/Dachorganisationen der Sozialen Arbeit sich schon immer als
besonders„regierungstreu“ erwiesen hat, auch gegenüber der Regierung des „Dritten
Reiches“. In einem geheimen Schreiben teilte Ministerin v.d. Leyen den JugendministerInnen
der Bundesländer mit, dass die Bundesregierung eine Diskussion über einen von den
Ehemaligen, und damals auch noch von den „Grünen“, geforderten „Nationalen
Entschädigungsfonds“ nicht wünsche. (Vgl. zu diesem Vorgang genauer Kappeler 2008 b und
2009 a). Dieser Anschlag konnte rechtzeitig aufgedeckt werden. In der
Bundespressekonferenz (Anfang Januar 2009) musste das Ministerium ein Scherbengericht
über sich ergehen lassen und den teilweisen Rückzug antreten. Die überregionalen
Tageszeitungen, Funk und Fernsehen berichteten über den Skandal. Die Ministerin, deren
Zähigkeit eine ihrer bedeutenden politischen Fähigkeiten ist, gab aber im Interesse ihres
Klientels (Kirchen, Caritas, Diakonie und Länderregierungen) nicht auf. Mit hinter den
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Kulissen aufgebautem Druck gelang es ihr, von der „unabhängigen Moderatorin“ des RTH
die Zustimmung für ein extrem reduziertes und inhaltlich verändertes Projekt zu bekommen:
Halbierung der Finanzmittel (400 000 Euro statt 1 Million und Verkürzung der Laufzeit des
Gremiums von 30 auf 24 Monate); Ausbootung von AFET und DIJUF als Projektträger
(stattdessen die AGJ – Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe). Meine schon „gesetzte“ ständige
Mitarbeit am RTH als einer der beiden vorgesehenen Wissenschaftler wurde untersagt. Am
folgenreichsten sollte sich aber die Beschränkung der ständigen Mitarbeit ehemaliger
Heimkinder auf drei Personen erweisen. Sie saßen 16 InstitutionenvertreterInnen gegenüber,
die in der Mehrzahl Verwaltungs- und Kirchenjuristen waren (VertreterInnen verschiedener
Bundesministerien, der Länderregierungen, der Landesjugendämter, der kommunalen
Spitzenverbände, der beiden Kirchen, des Caritasverbandes, des Diakonischen Werkes, der
Bundesarbeitsgemeinschat der Freien Wohlfahrtsverbände, der Deutschen Vereinigung für
Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, des DV, des AFET, des DIJUF, einer Abgeordneten
aus dem Petitionsausschuss). Hinzu kamen zwei Wissenschaftler und die Moderatorin.
Der RTH hatte eine bei der AGJ angesiedelte Geschäftstelle mit zwei hauptamtlichen
MitarbeiterInnen. Einer der Beiden war für die Vorbereitung der Sitzungen, ihre Auswertung,
das Protokoll und die Entwürfe zum Zwischen- und Abschlussbericht des RTH zuständig, die
andere für die sog. Anlaufstelle für ehemalige Heimkinder. Im ursprünglichen Projektentwurf
waren vier Hauptamtliche und beträchtliche Honorarmittel für Werkaufträge vorgesehen.
Die erste Arbeitssitzung des RTH fand schließlich im April 2009 statt. Bis zur für Dezember
2010 geplanten Übergabe des Abschlussberichtes an den Bundestag standen nur noch 21
Monate zur Verfügung, um 30 Jahre Heimerziehung in der „alten“ Bundesrepublik
„aufzuarbeiten“ und dem Parlament „Lösungsvorschläge“ zu unterbreiten. Die personelle
Besetzung des RTH, seine finanzielle Ausstattung, der zeitliche Rahmen – die ganze
Konstruktion des Gremiums präjudizierten sein schließliches Scheitern, wenn man seine
Ergebnisse am sachlichen Aufklärungsbedarf und an den Bedingungen für eine ernst zu
nehmende Rehabilitation und Entschädigung ehemaliger Heimkinder misst.
Die asymmetrische Struktur des RTH kann man nicht einmal als „Machtgefälle“ bezeichnen,
denn alle Macht war konzentriert auf der Seite der VertreterInnen von Bund, Ländern und
Kirchen, deren Interesse es war, finanzielle Leistungen an die Überlebenden der
Heimerziehung so niedrig wie möglich zu halten und das öffentliche Ansehen von Staat und
Kirchen so gut es ging zu retten – mit einem Wort: Schadensbegrenzung zu erreichen.
Am Desaster dieses Starts des RTH waren allerdings auch Entwicklungen in der Szene der
ehemaligen Heimkinder beteiligt, die den drei Ehemaligen nicht nur weitgehend die
Unterstützung der „Basis“ entzogen, sondern sie ständigen Verdächtigungen und Angriffen
„aus den eigenen Reihen“ aussetzten, die jeden Versuch einer Gegenmacht am RTH zunichte
machten und letzten Endes den Machtstrategien der InstitutionenvertreterInnen nützten. Im
„Verein ehemaliger Heimkinder“ (VeH), der bis dahin wichtigsten Organisation ehemaliger
Heimkinder, hatten zwei sog. Opferanwälte mit absurden Versprechungen auf zu erreichende
Entschädigungssummen, sich das Vertrauen der Mehrheit der Vereinsmitglieder besorgt. In
einem „Focus“- Interview behaupteten sie 500 000 ehemalige Heimkinder zu vertreten, für
die sie 25 Milliarden Euro von den Kirchen und vom Staat verlangten. Der VeH beanspruchte
für diese Anwälte einen festen Platz am RTH. Den drei vom VeH delegierten VertreterInnen
der ehemaligen Heimkinder und ihren UnterstützerInnen war klar, dass mit solchen
Forderungen jeder Versuch, mit der Gegenseite in ein halbwegs offenes Gespräch zu
kommen, scheitern würde. Sie lehnten die Forderungen und die Beteiligung dieser Anwälte
am RTH ab. Daraufhin wurde auf einer von den Anwälten dominierten
Mitgliederversammlung der Vorstandsvorsitzende des Vereins, einer der VertreterInnen am
RTH, abgewählt, ein neuer auf der Linie der Rechtsanwälte gewählt und den drei Delegierten
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am RTH das Misstrauen ausgesprochen. Sie sollten von linientreuen VeH-Mitgliedern ersetzt
werden. Damit hatten die Drei kein Mandat mehr. Aus eigener Überzeugung, aber auch auf
Bitten von Antje Vollmer und nach Beratungen mit UnterstützerInnen, traten sie aber nicht
zurück. Die Vorsitzende des RTH argumentierte, dass seine Mitglieder nicht als
VertreterInnen von Institutionen, sondern als an der Sache engagierte Personen von ihr
berufen worden seien. Das gelte auch für die drei ehemaligen Heimkinder, die auf diese
Weise legitimiert, am RTH die Interessen der ehemaligen Heimkinder vertreten könnten. Ich
habe damals die Entscheidung der drei ehemaligen Heimkinder am RTH, nicht
zurückzutreten, gegen die wütende Kritik aus dem VeH, aus verschiedenen Gründen
öffentlich verteidigt:
1. hielt ich es für möglich, dass die im Laufe der Arbeit am RTH ans Licht kommenden
Tatsachen und Fakten in Verbindung mit den beeindruckenden Erfahrungsberichten
von ZeitzeugInnen, die sich zu Hunderten bei der „Anlaufstelle“ des RTH meldeten,
dem „harten Kern“ der InstitutionenvertreterInnen allmählich die Anerkennung des
den Heimkindern angetanen Unrechts und seine Wertung als systematische
Missachtung der Menschenwürde und Verletzung der Menschenrechte abzwingen
könnten. Nach der konstituierenden Sitzung des RTH im Februar 2009, sagte mir ein
Mitglied, er sei überzeugt, dass nach zwei Jahren der Auseinandersetzung mit den
Realitäten der Heimerziehung, niemand den RTH so verlassen werde, wie er an ihm
Platz genommen habe.
2. hielt ich es für möglich, dass einige Mitglieder des RTH, die nicht von
Entschädigungsforderungen betroffen waren und auch keinen Imageschaden
abwenden mussten, weil sie in die Geschichte der Heimerziehung nicht verstrickt
waren, sich eindeutig an die Seite der drei Ehemaligen stellen würden: die zwei
Wissenschaftler, der AFET-Vorsitzende und der DIJUF-Chef, die ja von der
Familienministerin so hart brüskiert worden waren, eine Bundestagsabgeordnete aus
dem Petitionsausschuss, die wesentlich zum Erfolg der Petition beigetragen hatte, der
Vertreter der nicht-konfessionellen Wohlfahrtsverbände und der Vorsitzende der
DVJJ.
3. hoffte ich, nach den positiven Erfahrungen mit engagierten JournalistInnen auf eine
nachhaltige kritische öffentliche Begleitung der Arbeit des RTH.
4. erwartete ich, dass es in der Szene der ehemaligen Heimkinder doch noch zu
Klärungsprozessen kommen würde und die Entstehung regionaler Gruppen und
Netzwerke zu einer breiten Unterstützung der ehemaligen Heimkinder am RTH
führen könnte.
5. schließlich traute ich damals Antje Vollmer zu, unter diesen Voraussetzungen einen
„offenen Blick“ für die Situation der ehemaligen Heimkinder am RTH zu behalten
und die Fähigkeit, durch ihre Moderation das enorme Übergewicht der
InstitutionenvertreterInnen abzufedern und für einen halbwegs offenen
Kommunikations- und Verhandlungsstil zu sorgen.
Wie sich schon bald zeigte, wurden einige dieser Erwartungen, die nicht nur ich hatte, gar
nicht erfüllt, andere nur zum Teil. Gehen wir der Reihe nach.
Zu 1.: Schon in der ersten Arbeitssitzung des RTH im April 2009, in der ich als „externer
Sachverständiger“ einen Vortrag zu den wesentlichen Punkten der „Aufarbeitung“ hielt (vgl.
Kappeler 2010 a), wurde klar, dass die InstitutionenvertreterInnen gezielt auf eine
weitreichende Problemreduktion hinarbeiteten: sie setzten durch, dass die Situation der
großen Gruppe von Kindern/Jugendlichen die in sog. Behinderteneinrichtungen leben
mussten nicht einbezogen wurde. Diese folgenreiche Entscheidung wurde damit begründet,
dass diese Einrichtungen zum Gesundheitswesen und nicht zur Jugendhilfe gehört hätten.
Dass viele Kinder/Jugendliche zwischen Einrichtungen der Jugendhilfe, der Behindertenhilfe
und der Psychiatrie, oft lediglich aus Kostengründen, hin und her geschoben wurden und
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dabei schwere Traumatisierungen erlitten, ist unter Fachleuten seit Jahrzehnten bekannt und
immer wieder kritisiert worden. Die Entscheidung erfolgte also in voller Kenntnis dieses
Sachverhaltes und rief bei von ihr betroffenen ehemaligen Heimkindern Empörung hervor.
Der Protest der dreie Ehemaligen am RTH gegen diese Entscheidung, wurde zurückgewiesen.
Ebenfalls schon in dieser ersten Sitzung zeichnete sich ab, dass der ganze Komplex der
verbotenen Kinderarbeit und der Zwangsarbeit sowie der vorenthaltenen schulischen und
beruflichen Bildung ganz klein gehalten werden sollte, um die sich auf diesen Komplex
konzentrierenden Entschädigungsforderungen der ehemaligen Heimkinder abwehren zu
können. Nicht „aufgearbeitet“ wurde die Lage von Säuglingen und Kleinkindern in der
hospitalisierenden Massenpflege, die „Ruhigstellung“ von Kindern/Jugendlichen mit
Psychopharmaka und die sexuelle Gewalt, von der Tausende betroffen waren (vgl. dazu
Kappeler 2011 a).
In dieser ersten Sitzung des RTH habe ich auf seine strukturelle Asymmetrie hingewiesen und
auf die Bedeutung der Dominanz von Verwaltungsjuristen. Ich habe einen offenen und
reflektierten Umgang damit gefordert, um dem strukturell angelegten Machtmissbrauch
entgegensteuern zu können und die Ohn-Macht der drei ehemaligen Heimkinder zumindest
etwas zu reduzieren – vergeblich. Die Weigerung der Mehrheit des RTH, die strukturelle
Asymmetrie anzuerkennen und ihre Folgen zu relativieren, hat in erster Linie die Moderatorin
Antje Vollmer zu verantworten.
Auch die weitgehende Geheimhaltung der Verhandlungen und der Zwischenergebnisse des
RTH wurde auf dieser 1,. Arbeitssitzung beschlossen. Es wurden nach den Sitzungen dürre
Protokolle veröffentlicht, aus denen die Konfliktlinien systematisch ausgeblendet wurden.
Absprachen der InstitutionenvertreterInnen wurden verschwiegen und systematisch der
Eindruck von großer Harmonie und Gleichberechtigung aller Mitglieder vorgetäuscht. Meine
Forderung nach Transparenz durch ehrliche Öffentlichkeitsarbeit wurde nicht akzeptiert.
Nach jeder Sitzung lud die Moderatorin ausgewählte JournalistInnen zu einem sog.
Hintergrundgespräch ein.
Die ehemaligen Heimkinder blieben während der ganzen Laufzeit des RTH von der
Erstellung der Tagesordnung der Sitzungen und der Abfassung der Protokolle ausgeschlossen.
Auf die Informationspolitik der Moderatorin gegenüber den Medien hatten sie keinen
Einfluss.
Nach dieser Sitzung wurde ich nie wieder als „externer Sachverständiger“ eingeladen.
Es sollte sich schon bald herausstellen, dass die Argumentation, die Mitglieder des RTH seien
keine InstititionenvertreterInnen, sondern in der Sache engagierte Einzelne (sozusagen
niemandem als ihrem Gewissen verantwortlich), dazu diente, die strukturelle Asymmetrie am
RTH zu leugnen und eine prinzipielle Gleichberechtigung aller Mitglieder des Gremiums zu
behaupten. Antje Vollmer verstieg sich sogar zu der Behauptung, mit drei Sitzen am RTH
seien die ehemaligen Heimkinder privilegiert, weil die Institutionen jeweils nur eine Person
am RTH hätten, außer den Ländern, die zwei geschickt hatten. Also: die Kirchen und ihre
Wohlfahrtsverbände seien nicht ein Interessenblock, sondern eine Person der EkiD, eine der
kath. Bischofskonferenz, eine des Caritasverbandes und eine des Diakonischen Werkes. So
auch die von der Bundesregierung, der Jugendministerkonferenz, den Landesjugendämtern
und den Kommunalen Spitzenverbänden am RTH mitarbeitenden Funktionsträger: kein Block
staatlicher Interessen, sondern alles engagierte Individuen, denen es einzig und allein um die
Wahrheit gehe, wie es sich in einer „Wahrheitskommission“ gehöre. Als solche hatte Antje
Vollmer anlässlich ihrer Einsetzung als Moderatorin des RTH durch den
Bundestagspräsidenten das Gremium betitelt. An dieser Lesart hielt die Moderatorin bis
zuletzt eisern fest und mit ihr die Beauftragten der Institutionen, die ja keine Beauftragten sein
sollten, sich angeblich und wie sie immer wieder beteuerten von keinem Interesse als dem der
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Wahrheitsfindung leiten ließen und in niemandes als in ihrem eigenen Namen am RTH
mitarbeiteten.
Peter Schruth, [http://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/06/warum-hat-er-zugestimmt/]
einer der beiden Wissenschaftler am RTH, der an allen Sitzungen des
Gremiums teilgenommen hat, beschreibt aus der Innenperspektive die „ungleiche
Machtverteilung“ u.a. als Ungleichheit in „rechtlichem und fachlichem Wissen“ und an
„rhetorischer Kompetenz“: „Denn da sitzen am RTH Institutionenvertreter, mehrheitlich
Juristen, gewohnt in Mikrofone vor vielen Menschen im Raum öffentlich zu sprechen,
vertraut mit Fremdwörtern und komplizierten Satzinhalten, geleitet von institutionellem
Rückhalt und Absprachen. Und ihnen gegenüber sitzen zunächst drei VertreterInnen der
ehemaligen Heimkinder, denen es darum geht, ihr erlebtes Leid aus der Zeit der
Heimunterbringung vorzutragen, als erheblich belastete Zeitzeugen, denen die Last des
Erlebten anzumerken ist und die nur schwer ertragen können, wenn andere sie und das von
ihnen ausgedrückte, deutlich spürbare Leid, das ihnen in der damaligen Heimerziehung
zugefügt wurde, nicht verstehen, manchmal achtlos darüber hinwegreden, etwas
versachlichen wollen, was einfach nur Achtung und Empathie verdient. (....) Die ehemaligen
Heimkinder beschrieben immer wieder ihr erlebtes Leid und erhielten zu ihrer Enttäuschung
nur Sachfragen zur Antwort. (...) Oft blieb nicht nachvollziehbar für die ehemaligen
Heimkinder, warum auf ihre Fragen nicht geantwortet wurde, warum die Tagesordnung der
Sitzungen des RTH nicht mit ihnen gemeinsam entwickelt wurde. Und wie soll man
verstehen, warum es am RTH nicht geht, ‚erzwungene Arbeit’ allgemein verbotene
Zwangsarbeit zu nennen“. Aus seinen Erfahrungen am RTH zieht Peter Schruth den Schluss,
dass die Beteiligung der Betroffenen in solchen Gremien „elementar“ voraussetzt, „dass dem
geschilderten Leid (...) umfassend geglaubt und das den Betroffenen soweit wie stets möglich
jeder Schritt im Verhandlungsprozess transparent gemacht wird“. (Schruth, 2011, S. 168). Er
fordert, dass die Macht der Experten und Instituitionenvertreter in solchen Gremien mit aller
Kraft zurückgedrängt wird. Aber woher soll diese Kraft kommen, wenn nicht von der Basis
der Betroffenen selbst und von parteilichen UnterstützerInnen, zu denen in 1. Linie freilich
Fachkräfte der Sozialen Arbeit gehören müssten, die sich für die Achtung der
Menschenwürde und der Menschenrechte in ihrer eigenen Profession einsetzen?
Das starke Übergewicht der InstitutionenvertreterInnen am RTH führte zu einer Sprache des
Konjunktivs, die jeder Festlegung von Tatbeständen auswich und nie ein für die
Rehabilitation und Entschädigung wichtiges Ergebnis der „Aufarbeitung“ fixierte. Das ewige
„hätte“, „könnte“ „vielleicht“ und „möglicherweise“ gestattete die Relativierung,
Verharmlosung und Entwirklichung aller von den Ehemaligen eingebrachten Erfahrungen und
der vorliegenden Befunde aus der historischen und sozialpädagogischen Forschung und
anderer Quellen.
Die oben zitierte Hoffnung eines RTH-Mitglieds, dass die im Prozess der „Aufarbeitung“ zu
erwartenden Erfahrungen alle Mitglieder des Gremiums sensibilisieren und verändern
werden, hat sich nicht erfüllt. Der „Kern“ der InstitutionenvertreterInnen hat bei aller in der
Konfrontation mit den Schicksalen der ehemaligen Heimkinder geäußerten „Betroffenheit“
innerlich „dichtgemacht“. Der Leiter der „AG Leistungsrichtlinien“ [Georg Gorissen] (die gegenwärtig im
Auftrag von Bund, Ländern und Kirchen die Kriterien für die Umsetzung des
Bundestagsbeschlusses vom 7.7.2011 erarbeitet), der als Ländervertreter zwei Jahre am RTH
gesessen hat, sagte kürzlich zu den VertreterInnen der ehemaligen Heimkinder in dieser AG,
als es um die Anerkennung von erzwungener Kinderarbeit und vorenthaltenem
Hauptschulabschluss für die finanzielle Entschädigung ging, er habe als Kind und
Jugendlicher im Elternhaus auch mithelfen müssen. Zwischen der Kinderarbeit im Heim, den
Schulabschlüssen der Heimkinder und ihren späteren Berufs-und Lebenschancen gebe es
keinen realen Zusammenhang. Fiktive Annahmen, wie sie die ehemaligen Heimkinder
herstellten, könnten aber keine Entschädigung rechtfertigen und in der Definition des
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„Folgeschadens“ nicht berücksichtigt werden. Dem stimmten alle InstitutionenvertreterInnen
in diesem Gremium zu. Die Forderung der ehemaligen Heimkinder, für die verbotene
Kinderarbeit, die Zwangsarbeit der Jugendlichen in den Heimen, die verweigerte Bildung und
ihre lebenslangen Folgen einen bescheidenen finanziellen Ausgleich zu gewähren, wurde
abgelehnt. Fast alle diese Leute waren Mitglieder des RTH. Jetzt, wo es um die materielle
Umsetzung des Bundestagsbeschlusses geht, also nicht mehr um schöne Worte sondern um
Geld, scheuen sie sich nicht, selbst hinter die „Einsichten“ zurückzugehen, die am RTH –
scheinbar - schon einmal erreicht waren. Das Entsetzen und die Empörung der drei
ehemaligen Heimkinder über diese Entscheidung und ihre Begründung ließen sie an sich
abtropfen. Der Leiter und Wortführer der „AG-Leistungsrichtlinien“ wurde für seine Arbeit
am RTH mit 25 000 Euro honoriert und vom „Deutschen Verein“ für seine Verdienste in der
Sozialen Arbeit mit einer Plakette ausgezeichnet.
Es kann kein Zweifel daran bestehen: Die VertreterInnen von Bund, Ländern, Kommunen
und Kirchen haben mit oder ohne Bedenken ihre Macht an jedem entscheidenden Punkt der
Rehabilitations- und Entschädigungsregelungen eingesetzt und ihre Interessen damit
durchgesetzt. Selbst mit dem Geld und der Infrastruktur ihrer Institutionen ausgestattet, haben
sie den ehemaligen Heimkindern die Arbeitsmittel nicht finanziert, die diese für eine gute
Vor- und Nachbereitung der Sitzungen des RTH und die Vermittlung des Verlaufs der
Verhandlungen und für die Vernetzung untereinander und mit UnterstützerInnen gebraucht
hätten.
Die Ignoranz der Mehrheit am RTH gegenüber den ehemaligen Heimkindern wird auch daran
deutlich, dass die Mitarbeiterin der „Anlaufstelle“ des RTH kaum Gelegenheit hatte, ihre
Auswertungen der vielen bei ihr eingehenden Berichte von ehemaligen Heimkindern, in die
laufenden Verhandlungen einzubringen. Mehrfach hat sie sich darüber beklagt, dass ihre
Berichte für den Schluss der Sitzung auf der Tagesordnung standen und entweder aus
„Zeitmangel“ gar nicht angehört wurden oder lediglich ohne Aussprache „zur Kenntnis“
genommen wurden.
Nachdem der Abschlussbericht des RTH dem Bundestagspräsidenten im Januar 2011 auf
einer von Protesten ehemaliger Heimkinder begleiteten Veranstaltung übergeben wurde,
vereinigten sich die Fraktionen der CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu
einer fraktionsübergreifenden Beschlussvorlage, in die ausschließlich die „Empfehlungen“ der
Mehrheit am RTH aufgenommen wurden. Nur die Fraktion der „Linken“ übernahm in einer
eigenen Beschlussvorlage die im Abschlussbericht des RTH zwar dokumentierten aber
abgelehnten Forderungen der ehemaligen Heimkinder. Vor der Abstimmung im Plenum des
Bundestages führte der federführende Familienausschuss eine Expertenanhörung zu den
Beschlussvorlagen durch, in der die Mehrheit der ExpertInnen die Einbeziehung der durch die
Heimerziehung zerstörten Lebenschancen (unzureichende Schul-und Berufsbildung, dadurch
geringes Einkommen und niedrige Altersrente und in sehr vielen Fällen frühe
Erwerbsunfähigkeit) in die Definition des „Folgeschadens“ vorschlugen. Alle
Sachverständigen verlangten für jeden Schritt der Umsetzung des anstehenden
Bundestagsbeschlusses und auf allen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) eine substanzielle
Beteiligung ehemaliger Heimkinder und ein unabhängiges Beschwerdemanagement zur
Kontrolle der den Entschädigungsfonds von 120 Millionen Euro verwaltenden Bundes- und
Länderstellen, die mit der Bearbeitung und Entscheidung der Entschädigungsanträge
ehemaliger Heimkinder befasst sein werden. Keiner dieser Vorschläge findet sich im
Bundestagsbeschluss vom 7.7.2011 wieder, als hätte es die mit großem Aufwand
durchgeführte Anhörung von Sachverständigen im Familienausschuss nie gegeben. (Ich war
Sachverständiger im Petitionsausschuss und im Familienausschuss). Der Antrag der „Linken“
wurde von allen anderen Fraktionen geschlossen überstimmt.
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Am Tag zuvor hatte der Haushaltsausschuss des Bundestages ohne erkennbaren Widerstand
aus dem Familienministerium beschlossen, dass der Anteil des Bundes an dem Fonds in Höhe
von 40 Millionen Euro aus dem laufenden Jugendhilfeetat – also kostenneutral – aufgebracht
werden soll. Mit anderen Worten: Den heute auf Leistungen der Kinder-und Jugendhilfe
angewiesenen Heranwachsenden soll das Geld entzogen werden, dass der Staat für die
schuldhaften Versäumnisse seines „Wächteramtes“ nach Art. 6 GG in den 40er bis 70er
Jahren zu zahlen sich verpflichtet hat. Zwar gab es dagegen von einzelnen Abgeordneten
Protest, aber zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Beitrags (Ende November 2011) ist diese
Entscheidung noch nicht korrigiert worden. Falls die Länder diesem Beispiel des Bundes
folgen, wird auch deren Beitrag von 40 Millionen Euro der eh unter Einsparungen und
Kostendruck leidenden aktuellen Kinder- und Jugendhilfe entzogen.
Mit der Umsetzung des Beschlusses wurde ein sog. Lenkungsausschuss, bestehend aus
Vertretern des Bundes der Länder und der Kirchen beauftragt. Vertreter der ehemaligen
Heimkinder sind in ihm nicht zugelassen. Begründung: Wir geben das Geld und bestimmen,
nach welchen Kriterien und Verfahren es ausgegeben wird. Der Lenkungsausschuss hat eine
„Verwaltungsvereinbarung“ entworfen, die in den nächsten Tagen von Bund, Ländern und
Kirchen unterzeichnet wird. In ihr wird den Bundesländern zugestanden, für die vom
Bundestag beschlossene Einrichtung „Regionaler Anlauf- und Beratungsstellen für ehemalige
Heimkinder“ 12 Millionen Euro aus dem für Entschädigungsleistungen vorgesehenen Fonds
abzuzweigen. Diese Stellen sollen die Anträge ehemaliger Heimkinder nach den
„verbindlichen“ Kriterien bearbeiten, die von der oben erwähnten „AG Leistungsrichtlinien“
für den Lenkungsausschuss erarbeitet worden sind und von einem Bundesamt, das den Fonds
„abwickelt“ zuletzt auf ihre „Richtigkeit“ überprüft werden, bevor es zu einer Leistung an die
AntragstellerInnen kommt.
Diese „Anlauf –und Beratungsstellen“ waren einer der Hauptpunkte in den Verhandlungen
am RTH. Die VertreterInnen der Ehemaligen verlangen im Abschlussbericht des RTH
„unabhängige Stützpunkte“, die in den Regionen Treffpunkte für ehemalige Heimkinder sein
sollen, in denen sie umfassende Beratung und Unterstützung von der Aktensuche, über die
Vermittlung in geeignete Therapien bei posttraumatischen Belastungsstörungen, Alternativen
zur stationären Altenpflege, in diversen Fragen für die juristischer Sachverstand benötigt
wird, zu angeleiteten oder selbstorganisierten Selbsthilfegruppen, Öffentlichkeitsarbeit und
schließlich bei der Stellung von Anträgen an den Entschädigungsfonds, bekommen sollen. Bei
der Auswahl des jeweiligen Trägers der Stelle (keine öffentlichen oder freien Träger der
Jugendhilfe, die in die Geschichte der Heimerziehung verstrickt waren und aktuell
Erzieherische Hilfen nach SGB VIII anbieten) und der hauptamtlichen MitarbeiterInnen
(wahrscheinlich zwei pro Regionalstelle) beanspruchen die Ehemaligen substanzielle
Mitwirkung und ein Vetorecht. In der vom Lenkungsausschuss jetzt vorgelegten
„Verwaltungsvereinbarung“ ist weder die Unabhängigkeit noch die substanzielle Mitwirkung
ehemaliger Heimkinder vorgesehen. Die Regionalstellen werden in unterschiedlichen
bestehenden Behörden eingerichtet: in Hessen bei den Versorgungsämtern, in Bayern Baden-
Würtemberg, NRW bei den Landesjugendämtern in anderen Ländern bei kommunalen
Jugendämtern etc.. Verwaltungsangestellte bzw. Beamte aus dem vorhandenen
Personalbestand, werden in diese Stellen abgeordnet. Dass diese subalternen und
weisungsgebundenen Frauen und Männer, falls sie ehemalige Heimkinder bei der
Realisierung ihrer Interessen und Bedürfnisse unterstützen wollen, sofern sie dazu überhaupt
die notwendigen Fähigkeiten und Qualifikationen besitzen, in für sie unlösbare
Loyalitätskonflikte kommen, ist absolut sicher.
Für die Bereitstellung dieses Personals, dass sowieso von den jeweiligen Behörden bezahlt
werden muss, holen sich die öffentlichen Träger das Geld aus dem Fonds, mit der
Begründung, die Tätigkeit dieser MitarebeiterInnen käme den ehemaligen Heimkindern
zugute und gehöre zu den aus dem Fonds zu finanzierenden Entschädigungsleistungen. Sofern
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„geeignete“ Leute im „Überhang“ bzw. in dem aus dem „Überhang“ in verschiedenen
Ländern gebildeten „Stellenpools“ sind, sollen sie in den Regionalstellen eingesetzt werden.
Auf einer Veranstaltung am 11./12.Dezember in Köln, wird das Bundesfamilienministerium
60 zukünftige MitarbeiterInnen der regionalen „Anlauf- und Beratungsstellen“ in ihre
Aufgaben „einweisen“.
In den „Richtlinien“ nach denen die Regionalstellen arbeiten sollen, wird ein Rechtsanspruch
ehemaliger Heimkinder auf Leistungen aus dem Fonds ausgeschlossen. Bei Ablehnung oder
Minderung ihres Antrags erhalten sie keinen rechtsmittelfähigen Bescheid. Widerspruch und
Klage beim Sozialgericht sind damit ausgeschlossen. Die Bewilligung wird zu einem jeder
Willkür offenen Gnadenakt. Ein Antrag kann außerdem nur gestellt werden, wenn eine
umfassende Verzichterklärung unterschrieben wird. Sie lautet: „Leistungen aus dem Fonds
werden nur für Betroffene gewährt, die erklären, dass sie mit Erhalt einer Leistung aus dem
Fonds auf Geltendmachung jeglicher Forderungen, einschließlich der Ansprüche wegen
Rentenminderung aufgrund der Heimunterbringung, gegen die öffentliche Hand und die
Kirchen sowie ihre Ordensgemeinschaften und Wohlfahrtsverbände, einschließlich deren
Mitglieder und Einrichtungen, unwiderruflich verzichten. Dieser Verzicht umfasst auch den
Ersatz von Kosten für die Rechtsverfolgung“. Durch die Aushebelung des Art. 19 Abs. IV
GG ( „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der
Rechtsweg offen“), werden die ehemaligen Heimkinder zu BürgerInnen zweiter Klasse
degradiert und erneut gedemütigt. In einem führenden Grundrechtskommentar heißt es: „Die
Stellung des Art. 19 IV im GG ist überragend. Sie ist nur zu vergleichen mit der des Art. 2 I.
Dort erklärt sich das Grundgesetz für einen materiellrechtlich lückenlosen
Individualrechtsschutz. Mit Art 19 IV fällt die ebenso wichtige Entscheidung für einen
verfahrensrechtlich lückenlosen Individualrechtsschutz“. (Maunz-Düring, Grundgesetz
Kommentar, 1973, München). Die „Verzichterklärung“ ist also eine Täterschutzklausel. Der
Vertreter des Bundesjustizministeriums in der „AG Leistungsrichtlinien“ hat das
unumwunden zugegeben, indem er auf die Vorhaltung, die „Verzichterklärung“ sei
grundgesetzwidrig und rechtlich nicht haltbar, antwortete, dass sie aber eine „abschreckende
Wirkung“ haben werde. „Verzichterklärungen“ sind üblich, wenn das Gericht den
Kontrahenten in einem Streitverfahren vorschlägt, den Streit in einem „Vergleich“
beizulegen. Wenn sie dem Vorschlag zustimmen, werden sie von Kontrahenten zu
Verhandlungspartnern. Ihre Einigung, die den Verzicht weiterer Forderungen einschließt,
beendet das gerichtliche Verfahren. Diese Regelung kann auf die Anträge der ehemaligen
Heimkinder an den Fonds nicht angewendet werden, weil sie nicht das Ergebnis eines
Aushandlungsprozesses unter Moderation eines Gerichtes sind und auch nicht eine
Vereinbarung zwischen Privatleuten.
Aus dem sog. Folgeschäden-Fonds werden nur Sachleistungen bis zu einer Höhe von
maximal 10 000 Euro finanziert: Z.B. Kosten, die bei der Aktensuche anfallen,
Therapiekosten soweit sie nicht von der Krankenkasse bezahlt werden, Hilfsmittel für das
Leben in der eigenen Wohnung bei fortgeschrittenem Alter oder Pflegebedürftigkeit mit
Pflegestufe 1, soweit sie nicht von der Pflegeversicherung bezahlt werden etc.. Solche
Sachleistungen werden nur „nachrangig“ gewährt, d.h. wenn sie durch das System der
Sozialen Sicherung nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung gestellt werden. Eine frei
verfügbare Entschädigungssumme, die von den ehemaligen Heimkindern am RTH als
Opferrente in Höhe von 300 Euro mtl. gefordert worden war, kann nicht beantragt werden.
20 Millionen stehen für einen einmaligen Rentenausgleich z.Vfg. Aus diesem sog. Renten-
Fonds kann ein ehemaliges Heimkind, dass als Jugendliche(r) während der Heimerziehung
arbeiten musste, ohne dass dafür Soz1alversicherungsbeiträge abgeführt wurden, eine
Einmalzahlung von maximal 5000 Euro erhalten, sofern diese Arbeit heute als
sozialversicherungspflichtig eingestuft würde. Dieser Nachweis ist aber nur schwer zu
erbringen, da Zeiten nachgewiesen werden müssen und die Heimträger behaupten, es habe
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sich nicht um Erwerbsarbeit gehandelt, sondern um Arbeitserziehung bzw. Erziehung zur
Arbeit. Für viele Ehemalige wird selbst diese „symbolische“ Anerkennung der Zwangsarbeit
im Heim nicht erreichbar sein. Für die Kinderarbeit gibt es gar nichts. Beispiel: ein heute
60jähriger Mann musste von seinem 10. bis 14. Lebensjahr täglich ca. vier Stunden in der
Landwirtschaft eines großen zur Diakonie gehörenden Heimes, in dem er untergebracht war,
arbeiten. Als Jugendlicher, ab dem 14. Lebensjahr, musste er bis zu seiner Entlassung die
selbe Arbeit verrichten, wie vorher als Kind. Für die verbotene Kinderarbeit wird er nichts
bekommen, für die Zwangsarbeit die er als Jugendlicher leisten musste, kann er vielleicht eine
geringe Einmalzahlung bekommen. Da die Mehrheit am RTH die Arbeit von Kindern, mit der
die Binnenstruktur der Heime aufrechterhalten wurde (alle in der Hauswirtschaft anfallenden
Arbeiten, für die sonst Personal hätte bezahlt werden müssen) nicht als verbotene
Kinderarbeit und die von den Jugendlichen erzwungene Arbeit nicht als Zwangsarbeit
anerkannt wurde, bekommen die Ehemaligen dafür keine Entschädigung. Dass die Kinder und
Jugendlichen mit ihrer Arbeit Milliardenbeträge erwirtschaftet haben (800 000 Kinder und
Jugendliche in 30 Jahren!), mit denen sie ihre eigene Heimunterbringung weitgehend
finanzierten und den Fiskus resp. den Steuerzahler entsprechend entlasteten, konnte zwar
nicht bestritten werden, wurde als Begründung für Entschädigungszahlungen aber nicht
akzeptiert. Diese Weigerung wurde von Bund, Ländern und Kirchen vom ersten Tag des RTH
an bis zur letzten Verhandlung über die Umsetzung des Bundestagsbeschlusses am
29.11.2011 in der „AG Leistungsrichtlinien“ mit voller Billigung und Unterstützung der
Moderatorin des RTH eisern durchgezogen. Es bleibt zu hoffen, dass eine Mitte November
2011 beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Verfassungsbeschwerde eines ehemaligen
Heimkindes erfolgreich ist und wenn nicht, damit der Weg zum Europäischen Gerichtshof in
Luxemburg geöffnet wird. Ob dieser Weg aber überhaupt gegangen werden kann und ob er
am Ende erfolgreich sein wird, kann z.Zt. niemand vorhersagen.
Zu 2.: Die strukturelle Asymmetrie des RTH konnte sich nur deshalb so bruchlos in die
Machtstrategien der Mehrheit der InstitutionenvertreterInnen umsetzen, weil von den acht
Mitgliedern, die nicht von Entschädigungsforderungen der ehemaligen Heimkinder betroffen
waren, nur zwei die Vorschläge der Ehemaligen am RTH engagiert unterstützt haben .Dass
alle anderen ihre „Unabhängigkeit“ nicht für die Unterstützung der ehemaligen Heimkinder
genutzt haben, lässt den Schluss zu, dass sie in Wirklichkeit in unterschiedlicher Weise von
den hochrangigen Vertretern der Bundesregierung, der Länderregierungen, der Kirchen und
ihren Wohlfahrtsverbänden abhängig waren, mag es sich nun um Ängste vor dem Verlust von
Einfluss und Subventionen oder den Verlust von Drittmitteln für die Forschung gehandelt
haben. Jedenfalls saßen die entscheidungsmächtigen „öffentlichen Hände“ mit am Tisch,
deren Wohlwollen man vielleicht hätte „verscherzen“ können - was für ein Wort für den
Mangel an Zivilcourage bei Personen aus den Führungsetagen der Kinder- und Jugendhilfe
und der mit ihr verbundenen Wissenschaft und Forschung. (Zur Asymmetrie am RTH vgl.
Kappeler 2010 b und 2011 c).
Zu 3.: Die kritische Begleitung der Arbeit des RTH von außen gestaltete sich äußerst
schwierig. In der Szene der ehemaligen Heimkinder kam es nur einmal zu einer gemeinsamen
Demonstration in Berlin, nach der Veröffentlichung des Zwischenberichtes des RTH. Für
einen Tag war die Zersplitterung in rivalisierende Einzelgruppen aufgehoben. Diese Demo im
April 2010 stand aber schon ganz im Schatten der im Januar des Jahres an katholischen
Internatsschulen und in der Folge an der reformpädagogischern Odenwaldschule
aufgedeckten sexuellen Gewalt, die von nun an im Focus der öffentlichen Aufmerksamkeit
und Empörung stand. Es klingt fast zynisch, aber tatsächlich hatte das Leiden der Opfer von
sexueller Gewalt in Internatsschulen dem den Heimkindern zugefügten Unrecht und Leid
„den Rang abgelaufen“. Der sofort eingerichtete „Runde Tisch sexueller Missbrauch“ (der am
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30.11.2011 seine letzte Sitzung hatte) an dem sich gleich drei MinisterInnen mit öffentlicher
Unterstützung der Bundeskanzlerin engagierten, die Einsetzung der „unabhängigen
Beauftragten“ Christina Bergmann, die zur Aufklärung der sexuellen Gewalt ein ganzes Team
und beträchtliche finanzielle Mittel hatte, zeigte den ehemaligen Heimkindern, dass sie
„Opfer zweiter Klasse“ waren. Für die Erforschung der Ursachen von sexueller Gewalt in
pädagogischen Einrichtungen stellte die Bundesregierung schon nach wenigen Wochen der
öffentlichen Debatte 30 Millionen Euro zur Verfügung, von denen kein einziger Euro im Etat
des RTH landete. Der hatte für seine ganze Arbeit einschließlich der drei von ihm in Auftrag
gegebenen Expertisen, wie oben berichtet, ganze 400 000 Euro zur Verfügung. Ein Grund
mit, warum die geforderten Expertisen zur Kinder- und Zwangsarbeit und ihrer Erträge, zu
den Säuglings- und Kleinkinderheimen, zum Verhältnis von Jugendhilfe und Psychiatrie
sowie zum Einsatz von Medikamenten nicht in Auftrag gegeben wurden.
Das Jahr 2010 stand im Zeichen des „sexuellen Missbrauchs“ und über die Heimerziehung
wurde fast nur noch im Zusammenhang damit berichtet; aber auch da nur weit abgeschlagen
von den Eliteschulen und ihrem privilegierten Klientel. Dieser Skandal traf in die Mitte der
Gesellschaft, in der die ehemaligen Heimkinder bis heute niemals angekommen sind. Leider
gilt das nicht nur für die Medien, sondern auch für die öffentlichen und freien Träger der
Jugendhilfe, für die Soziale Arbeit insgesamt und auch für die Erziehungswissenschaft. Ein
Vergleich der Veröffentlichungen zum „sexuellen Missbrauch“ mit denen zur
„Heimerziehung der 40er bis 70er Jahre“ macht das deutlich. Es kam zwar zu einem halben
Dutzend größerer Veranstaltungen in Landtagen, auf Trägerebene und in einigen noch
bestehenden Heimen und auf dem Jugendhilfetag 2008 in Essen, aber in der Fläche der
Kinder- und Jugendhilfe hat sich kaum etwas getan – weder bei den kommunalen
Jugendämtern, noch bei den örtlichen freien Trägern oder bei den berufsständischen und
gewerkschaftlichen Organisationen der Fachkräfte der Sozialen Arbeit: Keine Stellungnahme
von VERDI, keine von der GEW und keine vom Berufsverband der SozialarbeiterInnen, der
seit Jahren die „Menschenrechte“ vor sich her trägt, für die Menschenrechtsverletzungen in
den Arbeitsfeldern der eigenen Profession aber blind zu sein scheint.
Das „Deutsche Institut für Menschenrechte“ in Berlin, um dessen Unterstützung ich mit
einem Vortrag und mehreren Info-Terminen intensiv geworben habe, zeigte sich „sehr
betroffen“, hat aber eine gutachtliche Stellungnahme zur Missachtung der Menschenwürde
und Verletzung der Menschenrechte der Kinder und Jugendlichen in der Heimerziehung mit
der Begründung abgelehnt, seine Statuten erlaubten nur eine Befassung mit aktuellen
Menschenrechtsverletzungen. Am RTH gehe es aber um Ereignisse in der Vergangenheit. Das
war eine große Enttäuschung, denn die Weigerung der Mehrheit am RTH, dass den Kindern
und Jugendliche angetane Unrecht als Verstöße gegen die Menswchenrechte und die im GG
garantierten Persönlichkeitsrechte anzuerkennen, war von Anfang an eine der
Hauptkonfliktlinien .Auch die vom „Institut für Menschenrechte“ empfohlenen
Menschenrechts-ExpertInnen an Universitäten äußerten einer nach der anderen ihre
„Betroffenheit“, aber konnten oder wollten sich nicht engagieren. Auch der von den drei
Berliner Hochschulen für Soziale Arbeit gemeinsam veranstaltete Masterstudiengang „Soziale
Arbeit als Menschenrechtsprofession“, der von mir mehrfach informiert wurde, sah sich zu
einer konkreten Unterstützung außer Stande.
Gut war die Unterstützung durch die Fachzeitschriften „neue praxis“, „Forum
Erziehungshilfe“ (IGFH), „Jugendhilfe“, „Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und
Jugendhilfe“ (ZJJ), „Soziale Arbeit“ (Deutsches Zentralinstitut /DZI) und natürlich der
„Widersprüche“. Beginnend 2007 brachten diese Zeitschriften immer wieder kritische
Beiträge zur Haltung des Bundes, der Länder und der Kirchen und zu den Entwicklungen am
RTH und den Folgeentwicklungen, die aber fast alle aus derselben Feder stammten. Leider
brachte diese kontinuierliche kritische Berichterstattung und Kommentierung die Jugendhilfe
nicht in Bewegung. Freilich gab es noch diverse Veröffentlichungen, wie das Buch Mutter
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Kirche – Vater Staat“ (2010) der theologischen Fakultät der Ruhruniversität Bochum zur
konfessionellen Heimerziehung, ein Schwerpunktheft des evangelischen Erziehungsverbandes
EREV, die Studien der Bielefelder KirchenhistorikerInnen zu „Freistatt“ und „Vollmarstein“,
Carola Kuhlmanns Buch „So erzieht man keinen Menschen“ und Christian Schrappers
Dokumentation über „Glückstadt“, aber keine dieser Publikationen zur Geschichte der
Heimerziehung nahm kritisch zu der aktuellen Auseinandersetzung am RTH und dem ganzen
Drumherum Stellung. Was die VertreterInnen von Staat und Kirche am RTH machten und
sagten, wie sich die Verantwortlichen in den Ländern, den Kirchenleitungen und den
Führungsetagen der Wohlfahrtsverbände positionierten wurde weitgehend akzeptiert oder
einfach nicht wahrgenommen. Studien der Träger, wie die der Landschaftsverbände
Rheinland und Westfalen-Lippe in NRW betrieben statt schonungsloser Aufklärung eher
Relativierung zum Zwecke der Schadensbegrenzung. Eindrucksvolle Veranstaltungen wie die
im Hessischen Landtag (Oktober 2009) blieben isolierte Ereignisse ohne erkennbare Wirkung
auf die Landespolitik.
Im Kontext der Initiative der ehemaligen Heimkinder entstanden und entstehen seit 2003 eine
ganze Reihe veröffentlichter autobiografischer Berichte (Monografien und
Zeitschriftenartikel), die dem RTH als authentische Empirie hätten dienen können, dort aber
weitgehend ignoriert wurden.
Facit: Es fehlte eine gemeinsame und nachhaltige Unterstützung der drei Ehemaligen am
RTH durch ihre zerstreuten und zerstrittenen LeidensgenossInnen. Es fehlte eine breite
Unterstützung der Forderungen der ehemaligen Heimkinder durch die Basis der Kinder- und
Jugendhilfe und anderer Systeme der Sozialen Arbeit. Es fehlte schließlich die nachhaltige
Unterstützung der Medien, die nach der Einsetzung des RTH deutlich nachließ. Alle drei
zusammen hätten den Machtstrategien des harten Kerns der InstitutionenvertreterInnen am
RTH eine von den politischen Zentralen der Jugendpolitik und der Kirchen nicht zu
ignorierende Macht entgegensetzen können. Der RTH wurde zwar von „unten“ erzwungen.
Als er aber einmal von „oben“ eingesetzt war, gelang es nicht, ihn so zu „erden“, dass die in
ihm angelegte strukturelle Asymmetrie hätte neutralisiert werden können. Mit diesen
Ausführungen ist auch der Punkt 4 „Unterstützung aus der Szene der ehemaligen
Heimkinder“ erläutert.
Zu 5.: Es hat sich gezeigt, dass Antje Vollmer keine unabhängige Moderatorin war, wie ich es
am Anfang angenommen habe und was sie bis heute von sich behauptet Vielleicht konnte sie
das auch gar nicht sein. Nicht, weil sie, wie viele meinen, als Theologin zu sehr den Kirchen
verbunden sei, sondern weil ihre Erwachsenensozialisation als GrünenpolitikerIn,
Abgeordnete und Vizepräsidentin des Bundestages sie in den Korporatismus von Parteien und
Verbänden verstrickt hat, aus dem sie sich offensichtlich nicht lösen konnte. In ihrem Denken,
Sprechen und Handeln war sie den Funktionären der Institutionen wesentlich näher als den
ehemaligen Heimkindern. Sie hat die Mächtigen durch ihr beharrliche Leugnung der
Machtverhältnisse am RTH geschont und wurde von diesen für ihre „ausgewogene“
Verhandlungsführung dafür gelobt. In diesen Tagen wurde sie, begleitet von Protesten
ehemaliger Heimkinder, für ihre Moderation des RTH ausgezeichnet und mit einem Preisgeld
belohnt. Wirklich fatal ist, dass sie als prominente Grünenpolitikerin das zu Beginn der
Initiative sehr unterstützende Engagement der „Grünen“ im Bundestag vollständig
neutralisiert hat, was zuletzt dazu führte, dass sich die „Grünen-Fraktion“ gegen die
Interessen der ehemaligen Heimkinder mit der Regierungskoalition und den
Sozialdemokraten zusammentat und eines ihrer Mitglieder mit unsachlichen und gehässigen
Ausfällen gegen die unterstützende „Linke“ sich noch besonders negativ hervortat. Mit dieser
armseligen und opportunistischen „Wende“ haben die „Grünen“ viele Menschen nachhaltig
enttäuscht, die in ihnen lange Zeit eine unterstützende Kraft gesehen haben.
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Zusammenfassung
Zuerst das Positive: Der Kampf der ehemaligen Heimkinder und ihrer UnterstützerInnen hat
sich gelohnt und lohnt sich noch immer, weil das jahrzehntelange Schweigen über die Gewalt,
der Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung ausgesetzt waren, gebrochen werden
konnte. Die Frauen und Männer die jetzt über das ihnen zugefügte Unrecht und Leid reden,
sprechen auch für die vielen ihrer LeidensgenossInnen die stumm bleiben, ja selbst für die
Vielen, die gestorben sind und jeden Tag sterben, denn es handelt sich bei den ehemaligen
Heimkinder ganz überwiegend um ältere und alte Menschen, deren physische und psychische
Gesundheit durch die Erziehung im Heim stark beeinträchtigt worden ist. Erstmals wieder seit
der Heimkampagne der späten 60er und frühen 70er Jahre haben die Opfer der
Jugendfürsorge, wie die Kinder- und Jugendhilfe damals hieß, eine unüberhörbare Stimme
bekommen, die so schnell nicht wieder verstummen wird. Für viele ehemalige Heimkinder ist
ihre Initiative ein Akt der Selbstbefreiung. Der macht zwar alte Schmerzen lebendig und
bringt neue Schmerzen, Enttäuschungen und auch wieder Demütigungen mit sich. Aber die
haben nicht mehr die niederdrückende und isolierende Gewalt, wie es die „Anonyma“ in Heft
114 der „Widersprüche“ geschrieben hat.
Nun das Negative: Die Jugendhilfe hat sich im Ganzen ihrer Vergangenheitsschuld nicht
gestellt. Das bedeutet auch, dass sie die Chance, aus der kritischen Selbstreflexion der
„dunklen Seite“ ihrer Geschichte für die Gegenwart und die Zukunft zu lernen, weitgehend
nicht genutzt hat. Die in vielen Bundesländern wieder praktizierte „geschlossene
Unterbringung“ von wieder als „verwahrlost und schwersterziehbar“ definierten Kindern und
Jugendlichen ist ein Beispiel dafür. Träger, die, wie der Orden der Salesianer (Don Bosco-
Heime), wegen der in ihren Einrichtungen an Kindern und Jugendlichen verübten Gewalt
während der Heimkampagne und auch jetzt wieder bei der Aufdeckung sexueller Gewalt, in
die Schlagzeilen gekommen sind, bekommen von Landesregierungen den Auftrag zur
Einrichtung geschlossener Heime oder Abteilungen mit sog. Time-out-Räumen, während am
RTH und in Länderparlamenten die Folgen des Wegschließens für Kinder und Jugendliche
aufgeklärt werden sollen. „Wahrscheinlich muss es in zwanzig Jahren wieder einen RTH
geben, der die Gewalt aufklären soll, die Kindern und Jugendlichen heute in der Kinder- und
Jugendhilfe angetan wird“, sagte kürzlich ein leitender Beamter eines Landesjugendamtes, der
die katastrophale Situation der Heimaufsicht (zu wenig und nicht hinreichend qualifiziertes
Personal) beklagte. Leider kann man dieser Prognose nicht widersprechen. Die im
Abschlussbericht des RTH geforderte Qualifizierung und Intensivierung der Heimaufsicht,
verbunden mit einem unabhängigen Beschwerdemanagement für Kinder, Jugendliche und
Familien, wurde von den Verbänden der Kommunen in einem Zusatzprotokoll als zu teuer
und nicht erforderlich abgelehnt.
Andererseits: Die vielen Veranstaltungen mit ZeitzeugInnen, die in den letzten fünf Jahren an
Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten durchgeführt wurden, zeigen, dass die ganz
Jungen, die morgen die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe gestalten werden, mit
beeindruckender Aufmerksamkeit und Anteilnahme zuhören und fragen. Sie zeigen in diesen
Begegnungen eine Sensibilität, die viele „berufserfahrene“ Fachkräfte nicht haben. Vielleicht
helfen dem beruflichen „Nachwuchs“ diese Begegnungen, der „Deformation professionelle“
zu widerstehen, die sich in der Praxis der Sozialen Arbeit offensichtlich bei allzu vielen
Professionellen entwickelt. Vielleicht erweist sich der alte Spruch: „Geschlagen ziehen wir
nach Haus – die Enkel fechten’s besser aus!“ doch noch als eine berechtigte Hoffnung.
Zur Rehabilitation und Entschädigung ehemaliger Heimkinder aus der DDR muss
abschließend noch etwas gesagt werden:
Der Bundestag hat am 7.7.2011 beschlossen, dass für die Opfer der DDR-Jugendhilfe die
Regelungen gelten sollen, die in der Umsetzung des Parlamentsbeschlusses jetzt für
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ehemalige Heimkinder aus der „alten“ Bundesrepublik festgelegt werden. Es soll das Prinzip
„Gleichbehandlung der Opfer“ gelten. Am RTH hat die Mehrheit argumentiert, dass es eine
pauschale Entschädigung für die ehemaligen Heimkinder nicht geben könne, weil die BRD im
Unterschied zur DDR von Beginn an ein sozialer und demokratischer Rechtsstaat gewesen
sei, in dem es ein „Unrechtssystem Heimerziehung“ per definitionem nicht habe geben
können. Eine Opferrente bzw. entsprechende Einmalzahlung, wie sie von den Ehemaligen am
RTH gefordert wurde, wäre nur möglich, wenn die BRD wie die DDR ein „Unrechtsstaat“
gewesen wäre, denn in einem solchen könne auch die Jugendhilfe/Heimerziehung nur ein
Unrechtssystem gewesen sein, dessen Opfer Anspruch auf eine pauschale Entschädigung
hätten. 2009/2010 glaubten die DDR-Heimkinder noch, sie könnten ihre Rehabilitation und
Entschädigung über die Rehabilitationskammern der Landgerichte der neuen Bundesländer
durchsetzen. Nachdem diese aber 90% aller Anträge mit der Begründung abgelehnt haben, die
Heimunterbringung habe keine politischen Gründe gehabt und die Praxis in den DDR-Heimen
habe den damals üblichen Erziehungsauffassungen entsprochen, forderten die Inbitiativen der
ehemaligen Heimkinder der DDR die Einbeziehung in die für die West-Heimkinder zu
erwartenden Regelungen. Aus dieser Falle kommen sie aber wahrscheinlich heraus, weil die
Novellierung des „DDR-Unrechtsbereinigungs-Gesetzes“ auch den Opfern der
Heimerziehung eine Opferrente von gegenwärtig 250 Euro mtl. ermöglicht, wenn der
Heimaufenthalt mindestens 180 Tage gedauert hat und eine relativ hoch angesetzte
Einkommensgrenze nicht überschritten wird. Das würde sich nicht mit der Tatsache
vertragen, dass das konkrete Leiden der Kinder und Jugendlichen in den Heimen beider
deutscher Staaten sich nicht voneinander unterschied, denn es resultierte nicht aus den
unterschiedlichen politischen Vorzeichen der DDR und der BRD, sondern aus der alltäglichen
gewaltmäßigen Erziehungspraxis, die identische historische Wurzel hatte und von ähnlichen
Sichtweisen auf „verwahrloste und schwererziehbare Kinder/Jugendliche“ gesteuert wurde.
(Vgl. dazu Kappeler 2007, 2008 c, 2011 d). In der Studie „Heimerziehung in Berlin – West
1945-1975 / Ost 1945-1989“ (Berlin 2011) heißt es in der Einleitung. „Bei allen
Systemvergleichen kann es nicht darum gehen, eine Hierarchie von Betroffenengruppen zu
konstruieren: Das Maß an erfahrenem Leid und Unrecht misst sich nicht daran, unter welchen
politischen Verhältnissen es zugefügt wurde“. Dieser elementare Grundsatz darf nicht dazu
führen, dass DDR-Heimkindern eine ihnen zustehende Opferrente verweigert wird. Er muss
umgekehrt dazu führen, dass das Bundesverfassungsgericht, das schon in den sechziger
Jahren die Verletzung von Grund-und Menschenrechten in der Heimerziehung gerügt hat, in
einem Grundsatzurteil den Bund und die Länder zwingt die systematische Verletzung der
Grund- und Menschenrechte von Kindern und Jugendlichen in der westdeutschen
Heimerziehung anzuerkennen und ihre noch lebenden Opfer angemessen finanziell zu
entschädigen.
In der Berliner Regionalgruppe ehemaliger Heimkinder treffen sich Frauen und Männer, von
denen die einen Zeiten ihrer Kindheit und Jugend in Ost-Heimen und die anderen in West-
Heimen verbringen mussten. Jemand der ihren Erfahrungsberichten zuhört ohne zu wissen,
woher sie jeweils kommen, könnte nicht erkennen, ob diese Erfahrungen in einem DDR- oder
einem BRD-Heim gemacht wurden. (Vgl. dazu Kappeler 2011 e).
Zur Konstruktion des RTH: Zum „Runde Tisch sexueller Missbrauch“ an dem die Opfer
sexueller Gewalt in pädagogischen Einrichtungen strukturell in einer ähnlichen Situation
waren wie die ehemaligen Heimkinder am RTH, gab es in der „Unabhängigen Beauftragten“
(Christina Bergmann) und ihrer gut ausgestatteten Geschäftsstelle ein Gegengewicht, das
nicht von den Interessen der Institutionen dominiert werden konnte. Frau Bergmann konnte
eine unabhängige Aufklärungsarbeit leisten und mit ihren Ergebnissen durch intensive eigene
Öffentlichkeitsarbeit auf den Prozess am „Runden Tisch sexueller Missbrauch“ einwirken.
Die „Unabhängige Beauftragte“ zur Aufklärung der sexuellen Gewalt an Kindern und
Jugendlichen, war natürlich dem politischen Handlungsdruck der Bundesregierung
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geschuldet, der bezogen auf die Gewalt in der Heimerziehung nicht annähernd so groß war.
Eine solche unabhängige, aber politisch legitimierte und materiell gut ausgestattete, Instanz
hat den ehemaligen Heimkindern gefehlt. Es wäre jetzt dringend erforderlich und , für die
unabhängige Begleitung und Kontrolle der zentralen Fondsverwaltung und für alle regionalen
Anlauf- und Beratungsstellen für ehemalige Heimkinder legitimierte Beiräte zu schaffen, die
ein unabhängiges Beschwerdeverfahren garantieren und der struckturellen Asymmetrie im
bisherigen Verfahren etwas entgegensetzen könnten. Diese Beiräte sollten nicht von
InstitutionenvertreterInnen besetzt werden, sondern von kompetenten ausgewiesenen
Einzelpersonen, die das Vertrauen der ehemaligen Heimkinder besitzen und von
VertreterInnen der Ehemaligen selbst.
Eine persönliche Schlussbemerkung: Die fünf Jahre der Zusammenarbeit mit ehemaligen
Heimkindern und UnterstützerInnen ihrer Initiative, gehören zu den intensivsten und
erkenntnisreichsten Erfahrungen, die ich in meinem langen Berufsleben, in einem halben
Jahrhundert Sozialer Arbeit, machen konnte. Dafür bin ich dankbar.
Die Literaturhinweise im Text beziehen sich auf folgende Veröffentlichungen:
Kappeler 2007, Ein hohes Maß an Übereinstimmung – Heimerziehung in Deutschland „Ost“
und Deutschland „West“. In: Jugendhilfe 6/2007

Kappeler 2008 a, Von der Heimkampagne zur Initiative der ehemaligen Heimkinder –Über
den Umgang mit Vergangenheitsschuld in der Kinder- und Jugendhilfe. In: neue praxis
4/2008
Kappeler 2008 b, Kein üblicher Vorgang. Bundesfamilienministerium missachtet Beschluss
des Bundestages. In: neue praxis 6/2008
Kappeler 2008 c, Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland (1950-1980) und der
Deutschen Demokratischen Republik. In: Forum Erziehungshilfe 2/2008
Kappeler 2009, Der Kampf ehemaliger Heimkinder um die Anerkennung des an ihnen
begangenen Unrechts. In: Widersprüche 111/2009
Kappeler 2010 a, Zur zeitgeschichtlichen Einordnung der Heimerziehung. In: Soziale Arbeit
4/5 – 2010
Kappeler 2010 b, Zwischen den Zeilen gelesen – Kritik des „Zwischenberichts“ des Runden
Tisches Heimerziehung. In : neue praxis 2/2010
Kappeler 2011 a, Anvertraut und ausgeliefert – Über sexuelle Gewalt in pädagogischen
Einrichtungen, Berlin (Nicolai-Verlag)
Kappeler 2011 b, Wege ins Heim – Fürsorgeerziehung der 40er bis 70er Jahre. In: ZJJ –
Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 3/2011
Kappeler 2011 c, Unrecht und Leid – Rehabilitation und Entschädigung? Der
Abschlussbericht des Runden Tisches Heimerziehung. In: neue praxis 2/20
Kappeler 2011 d, Die Heimerziehung der 40er bis 70er Jahre im Spiegel der AGJ – Eine
Untersuchung auf der Grundlage der Bestände des AGJ-Archivs, 2011, www.agj.de - Rubrik
Erzieherische Hilfen
Kappeler 2011 e, Die Berliner Regionalgruppe ehemaliger Heimkinder. In: Forum
Erziehungshilfe 4/2011
Der Artikel von Peter Schruth, Grenzender Aufarbeitung zugefügten erzieherischen Unrechts
– am Beispiel des Runden Tisches Heimerziehung“, Februar 2011, basiert auf einem Vortrag
an der Ev. Akademie Hofgeismar im Rahmen einer Tagung der Ev. Behindertenhilfe mit dem
Thema: „Gegen unsere Ohnmacht im Umgang mit Gewalt“. Der ungekürzte Text ist auf der
Internetseite von Peter Schruth zu finden.
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Nachtrag eines ergänzenden Literaturhinweises: Kappeler, Manfred, 2012 (gerade
erschienen), „Wir wurden in ein Landerziehungsheim geschickt“ – Klaus Mann und seine
Geschwister in Internatsschulen, Berlin (Nicolai-Verlag).
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