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D. Ulrich Bach verstorben - Die Freie Arbeitsgruppe JHH 2006 nimmt Abschied

Am Sonntag, den 08. März 2009 nahm Gott der Herr

Ulrich Bach

in den späten Abendstunden zu sich.

 Seine letzten Aktivitäten galten der Freien Arbeitsgruppe JHH 2006. Zwei Tage vor seinem Tod korrigierte er einen Brief an eine Puppe. Darin bringt er zum Ausdruck, wie sehr er sich freut, dass die besagte Puppe „Mimerle“ und Marianne zusammengefunden haben. Dieser Brief ist auf der Seite „Erinnerungen MB“ zu finden.  

Im März 2006 hat Ulrich den Anstoß gegeben, ein dunkles Kapitel Anstaltsgeschichte aufzuarbeiten. Er hat uns ermutigt, uns mit schwersten Jahren der Kindheit in einem Kinderheim auseinanderzusetzen. Ulrich war Mitbegründer der Freien Arbeitsgruppe JHH 2006 und hat ihr auch diesen Namen gegeben.

Wir verlieren einen guten Freund, einen wichtigen Berater, einen kritischen Mahner!

Helmut Jacob
Sprecher der Arbeitsgruppe

Ulrich war täglich für die Arbeitsgruppe engagiert. Zwar hatte er sich aus gesundheitlichen Gründen im Juni 2007 aus der aktiven Gruppenarbeit zurückgezogen. Dennoch hat er sich wenigstens zweimal in der Woche durch den Gruppensprecher bis ins Detail über die laufenden Aktivitäten informiert und sich trotz schwerer Krankheit ausführlich geäußert.

Persönliche Abschiedsworte

Der Brief an Mimerle ist wie ein kleiner Abschied gewesen. Ich finde, er hat sehr viel Aussagekraft. Ich kann es immer noch nicht fassen, daĂź er nicht mehr da sein soll. Mir wird ein lieber Mensch fehlen, zu dem ich nach und nach ein groĂźes Vertrauen aufgebaut habe. Auch Ulrich hatte groĂźes Vertrauen zu mir, indem er mir seine persönlichen Briefe und Berichte diktierte, die ich dann fĂĽr ihn schreiben durfte. Zu Anfangs war ich sehr erstaunt, als  er mich darum bat, fĂĽr ihn etwas zu schreiben. Ich selber hätte es mir nie zugetraut. Er machte mir immer wieder Mut. Ich denke, bei der Gelegenheit habe ich noch einiges von ihm gelernt. Ich bin froh, daĂź wir uns in den letzten 3 Jahren näher kennen gelernt haben und er mir seine Freundschaft angeboten hat. Ich weiĂź, daĂź meine Kindheitsgeschichte ihm ganz besonders am Herzen gelegen hat.

Marianne

 Bischof Dr. Wolfgang Huber

Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

 Statement

Pressekonferenz Woche fĂĽr das Leben

Berlin, 30. März 2009

  

„Jeder Mensch gilt“ – das war das Lebensmotto von Pfarrer Dr. Ulrich Bach. Vor drei Wochen, am 8. März, verstarb der scharfsichtige Analytiker des tiefen Risses, der oftmals Menschen mit Behinderungen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließt, der Liebhaber der „bunten Gemeinde Gottes“, der Bibelinterpret, der die biblischen Texten gleichermaßen für Behinderte und Nichtbehinderte las. Der 1931 geborene Ulrich Bach hat zu dem Thema, das uns in diesem Jahr beschäftigen soll, Ungewöhnliches beigetragen. Das findet auch in dem Themenheft für die diesjährige Woche für das Leben seinen Niederschlag. Wenn man diese Texte liest, spürt man etwas von der überschießenden Hoffnung, die den christlichen Glauben prägt.

Ulrich Bach, der an den Folgen einer schweren Polio-Erkrankung litt und dadurch zeitlebens an den Rollstuhl gefesselt war, nahm ernst, dass jeder Gottesdienst im Namen des dreieinigen Gottes beginnt. Die gottesdienstliche Wirklichkeit in einer diakonischen Einrichtung kommentierte er so: „Wir bilden zwar ein buntes Völkchen: Die einen müssen liegen, einige dürfen schon sitzen, andere sind so nicht behindert, dass sie andere Leute schieben. Das alles ist so. Das macht Schmerzen. Nichts davon wollen wir vertuschen. Und dennoch: Obwohl hier Behinderte und Nichtbehinderte beisammen sind – nicht als Behinderte und Nichtbehinderte sind wir beisammen, sondern als Gemeinde des dreieinigen Gottes. Fragt nicht in erster Linie, was ihr könnt oder nicht könnt. Hört, was Gott Euch sein lässt. ... Ihr gehört zusammen als die bunte Gemeinde Gottes“.

Die beiden Artikel, die Ulrich Bach für das diesjährige Themenheft der „Woche für das Leben“ zur Verfügung gestellt, sind zu seinem Vermächtnis geworden; deshalb liegt mir so viel daran, heute Ulrich Bachs Beiträge zu unserem Thema zu würdigen. An seinem theologischen Wirken beeindruckt mich besonders die Konsequenz, mit der er aus seinen Grenzerfahrungen heraus unser Bild vom Menschen konsequent in das Licht des Evangeliums, also in das Licht der göttlichen Gnade gerückt hat. Einer der Titel, an denen das schlagartig erkennbar wird, lautet: „Boden unter den Füßen hat keiner“.

Aber nicht nur das Menschenbild der Leistungsgesellschaft, sondern auch die gängigen Stereotypen des Gottesbildes gab Ulrich Bach zur ĂśberprĂĽfung frei. „Der Gottessohn braucht Hilfe“, schreibt er. „Dieser Satz wurde fĂĽr mich zu einem SchlĂĽssel fĂĽr viele biblische Zusammenhänge. Wenn dieser Satz stimmt, dann ist Stärke kein absoluter Wert.“ Aus dieser theologischen Perspektive analysierte Ulrich Bach, wie es zu der Vernichtung von als „lebensunwert“ bezeichnetem Leben im Dritten Reich kommen konnte. Von dieser kritischen Analyse aus entwickelte er eine „Theologie nach Hadamar“. Die Landesheilanstalt Hadamar in Hessen war 1941 eines der Zentren der Tötungsaktionen im Rahmen des fälschlich so genannten „Euthanasie“-Programms. Bachs „Theologie nach Hadamar“ folgt nicht dem Grundsatz:  „Kannst du was, dann bist du was“ – sondern: „Jeder Mensch gilt“.

Drei Wochen nach seinem Tod möchte ich Ulrich Bachs Lebenszeugnis in Erinnerung rufen. Für ihn, der lange als unbequemer Kritiker galt, war es eine Freude, seine Texte in unserem Arbeitsheft abgedruckt zu wissen. Und nur allzu gern hätte er auch auf dem Eröffnungspodium mit diskutiert. Weil es dazu nicht mehr kam, lassen Sie mich hier und heute sagen: Wir verdanken ihm viel.

„Gemeinsam mit Grenzen leben“: dieser Leitgedanke der Woche für das Leben 2009 hat in Diakonie und Caritas schon in der zurückliegenden Zeit wichtige Veränderungen bewirkt. Wohngruppen und Lebensgemeinschaften wurden gebildet, in denen Behinderte nicht Objekte der Hilfe, sondern Subjekte ihres eigenen Lebens sein können. Aus einer Arbeit, die im Wesentlichen auf Fürsorge und Pflege ausgerichtet war, ist ein Dienst geworden, der andere auf dem Weg zu einem selbständigen Leben begleitet. Schuldhafte, ja verbrecherische Verirrungen der Vergangenheit, die unerträgliche Rede von „lebensunwertem Leben“, die Transporte behinderter Menschen in Vernichtungslager, die Vergötzung von Gesundheit und Leistung wurden und werden beim Namen genannt. Mahnmale und Gedenksteine wurden errichtet, die an die Opfer erinnern und vor jeder Art der Wiederholung warnen. Voller Scham bekennen wir, dass auch im helfenden Handeln der Kirche dem politischen Druck und einer kruden Kostenmentalität, die selbst das Leben berechnet, nicht immer der menschenmögliche, aber dann doch über die Kraft der Beteiligten hinausgehende Widerstand entgegengesetzt wurde.

Gerade deshalb müssen wir unser Bild von „Normalität“ verändern. Normal muss es sein, dass wir sagen: Jeder Mensch gilt.

Beim Christlichen Führungskräftekongress vor vier Wochen saß Rainer Schmidt, der bei den Paralympics als Tischtennisspieler Medaillen sammelte, auf einem Podium zum Thema „Inspiration“. „Im Schuhezubinden bin ich behindert“, sagte er zu dem Moderator des Abends, „aber im Tischtennisspielen vermutlich du“. Selbstbewusst und offen mit den eigenen Grenzen umzugehen, aber auch wahrzunehmen, welche Gaben jeder von uns hat – das ist der Schlüssel zu einem veränderten Leben.

Aber bei wem liegt dieser Schlüssel? „Die Frage, ob ich dazugehöre“, schreibt Ulrich Bach, „wird oft zuerst von der anderen Seite beantwortet. Wenn sich (andere) ... freiwillig zu mir bekennen, indem sie sagen: wir gehören zu dir, dann ... bekomme ich die Möglichkeit, zu erleben: tatsächlich, ich gehöre zu Euch.“

Von diesem Zuspruch leben nicht nur behinderte Menschen, sondern auch viele andere, die sich aus der Gesellschaft ausgegliedert fĂĽhlen – aus gesundheitlichen oder aus AltersgrĂĽnden, aus sozialen oder aus finanziellen GrĂĽnden. Mangelnde Teilhabe gehört zu den groĂźen Problemen unserer Gesellschaft; wir werden darauf zu achten haben, dass sich die Kluft im Zuge der jetzigen Wirtschafts- und Finanzkrise nicht vertieft. Gerade in einer solchen Krisenzeit ist besonders darauf zu achten, dass bei kĂĽnftigen SparmaĂźnahmen nicht die Mobilität und ärztliche Versorgung behinderter Menschen eingeschränkt wird, dass die Hilfen fĂĽr Demenzkranke verbessert werden, Blinde auch weiterhin die nötige UnterstĂĽtzung finden und sofort. Solche Fragen werden uns verstärkt beschäftigen, wenn wir im dreijährigen Zyklus der  „Woche fĂĽr das Leben“ im nächsten Jahr die Entwicklung des Gesundheitssystems zum Schwerpunkt machen werden.

Zunächst aber gilt es, das „Du gehörst dazu“ für die verschiedensten Bereiche zu beherzigen und konkret werden zu lassen. Wichtige Schritte beginnen in Kindergärten, Schulen und Kirchengemeinden. Zu ihnen gehören Gottesdienste und Gruppenangebote, die im wahrsten Sinne des Wortes „niedrig-schwellig“ sind. Vom Kern des christlichen Glaubens, nämlich vom Blick auf den leidenden Christus aus, wollen wir zu einer Haltung beitragen, die sich von Einschränkungen nicht erschrecken lässt – wohl aber von Arroganz und Hochmut. Es ist Hochmut, wenn wir glauben, unser Leben nach den eigenen Wünschen gestalten zu können.

Es ist Arroganz, wenn wir übersehen, welche Anstrengungen diese Ideologie denen abverlangt, die ihre Grenzen sehr früh erfahren haben. Wenn wir begreifen, dass wir alle aus Gottes Gnade leben, dann verstehen wir auch, warum eine intellektuelle Leistung vor Gott nicht mehr zählt als das Lallen eines Kindes, eines Schwerstmehrfachbehinderten oder eines Sterbenden. Erst in einer solchen Demut können wir uns für die Lebensmöglichkeiten öffnen, die auch bei Menschen mit Behinderungen über ihre Grenzen hinausweisen – wie Zuwendung, Fröhlichkeit, Freundschaft. Das kann auch die Angst vor den eigenen Schwächen vertreiben, die uns so leicht hart und zur Teilnahme unfähig macht. Die Reifungschancen, die sich daraus ergeben, hat der Altersforscher Andreas Kruse sensibel, ja poetisch entfaltet. Grenzsituationen, so betont er, führen uns in die Mitte unserer Existenz.

Ich wollte Sie spüren lassen, mit welchen Hoffnungen ich die Veranstaltungen der Woche für das Leben 2009 begleite. Es geht um Lebensräume, die Menschen bis dahin nicht wahrnehmen konnten, um Gestaltungsspielräume dort, wo Menschen bisher nur Verluste sahen. Es ist zu wünschen, dass viele christliche Gemeinden neue Aufbrüche zum Zusammenleben und gemeinsamen Feiern wagen; sie werden damit auch stark in unsere Gesellschaft hineinwirken. Ich hoffe darauf, dass die Woche für das Leben 2009 in dieser Richtung an vielen Orten wichtige Impulse geben wird. Ich freue mich darauf, dass wir den Eröffnungsgottesdienst dieses Jahres in einer Lüneburger Kirche feiern, in der eine bunte Gemeinde Gottes zu Hause ist. Integrativer Konfirmandenunterricht und von Behinderten verantwortete Gottesdienste sind Beispiele dafür. Ich hoffe auf viele solche Beispiele während der Woche für das Leben 2009.