Meine Jahre in Volmarstein von 1956 – 1967
Durch H S, geb. D, erfuhr ich von der angestrebten Aufarbeitung des Themas
„Gewalt in Heimen“,
von der auch jeder von uns in der Volmarsteiner Zeit irgendwie betroffen war.
Ich durfte an den niedergeschriebenen Kindheitserinnerungen von Marianne Anteil nehmen und bin tief erschüttert. Viele von den aufgeführten
Tatsachen kann ich nur bestätigen. Es verging kein Tag, an dem sie nicht gedemütigt wurde, und es tat mir in der Seele weh, daß ich ihr nicht helfen konnte. Sie ist ein guter Mensch, und ich möchte mich auch heute
für die Hilfe, die sie mir damals als Kind zukommen lassen mußte, bedanken!
Vor einigen Jahren haben Marianne und ich uns aus dem Anlaß eines Ehemaligen-Treffens wiedergesehen. Umsomehr freue ich mich und rechne es ihr hoch
an, daß sie – trotz allem – eine intelligente und humorvolle Frau geworden ist.
An meine eigene Kindheit im Johanna-Helenen-Heim denke ich bei weitem nicht gerne zurück.
Es stimmt, daß unter anderem immer gegen den Kopf geschlagen wurde. Diese Erfahrung ging auch an mir nicht vorbei. Erst als mein Vater mit der
Presse drohte, ließ die besagte frustrierte, behinderte Lehrerin von mir ab.
Darüber hinaus bestätige ich die angesprochenen unmenschlichen Formen und Zwänge von Gewalt, die von Ordensschwestern im Wohnbereich sowie von den
Lehrerinnen in der Schule vollzogen wurden
Durch die Obhut meiner Eltern war ich nicht in vollem Umfang der bestialischen Gewalt im J-H-H ausgesetzt. Ich pflichte dazu bei, daß die
elternlosen Kinder am schlimmsten leiden mußten. Mein Vater strebte seinerzeit das Ziel an, zusammen mit weiteren Eltern von Kindern aus dem J-H-H gegen die damaligen Machenschaften vorzugehen. Leider hatte die
Mehrzahl nicht den Mut dazu. Ich kann meinen Vater heute dazu nicht fragen, weil er sehr krank ist und sich nicht aufregen darf.
Zum Thema „ärztliche Versorgung im J-H-H“ habe ich schwere Vorwürfe gegen den damaligen Orthopädiearzt Dr. M. vorzubringen. Er hat uns Kinder bei
weitem nicht ausreichend, dem Behinderungsbild entsprechend, medizinisch behandelt
Ich kam mit 8 Jahren in einem Top-Zustand ins J-H-H nach Volmarstein. Davor hatte ich medizinische Anwendungen in Form von Krankengymnastik und
Wasserbehandlungen sowie Medikation. Ich konnte noch recht gut laufen!
Vom ersten Tag an im J-H-H wurden diese Indikationen nicht mehr weiter durchgeführt. Bis zum Rollstuhl mußte ich auch Demütigungen hinnehmen. Durch
den Muskelschwund schwanden meine Kräfte zusehends, deshalb fiel mir die Bewältigung der langen Flure im J-H-H sehr schwer. Dabei stürzte ich vor Erschöpfung auch schon mal zu Boden. Vom Personal half mir keiner, es
liefen alle an mir vorbei! Zum Glück gab mir dann ein Junge seine Unterstützung.
Als ich auch bald, mit 11 Jahren, im Rollstuhl saß, war ich erleichtert, daß die Qualen ein Ende hatten. Es ist richtig, daß der Rollstuhl eines
Tages für mich unumgänglich gewesen wäre, aber mit richtiger ärztlicher Therapie hätte sich dieser Zeitpunkt mit Sicherheit erst viel später bemerkbar gemacht!
Ein weiteres Versäumnis war, daß man bei mir eine beginnende Skoliose nicht erkannt hat. Nachdem alles viel zu spät war, versuchte man
Gegenmaßnahmen in Form eines Stahlkorsetts zu ergreifen, was natürlich nicht mehr half.
Rückblickend hat in meinen Augen die damalige Ärzteschaft versagt. Man hat uns Kinder nicht für das Leben aufgebaut und nicht für unsere Gesundheit
gesorgt, wie es hätte sein sollen, sondern man hat uns mit zerstörenden Handlungen wissentlich mißbraucht!
Das ist unverzeihlich, weil die ganze scheußliche Misere von allen, auch den damaligen Verantwortlichen in der Chefetage totgeschwiegen wurde!!
Ich glaube nicht, daß bei der Obrigkeit über die besagten Mißstände keine Kenntnis vorhanden war!
Nach meiner Schulausbildung im dunklen J-H-H zog ich zur Berufsausbildung ins freundliche Margarethen-Haus. Hier traf man das ganze Gegenteil an.
Es war alles positiv und eine akzeptable Heimleitung. Ich fühlte mich dort wohl. Nach erfolgreicher Lehrausbildung ging ich wieder zurück ins Elternhaus.
Aus dieser aufgeführten Zeit wird stets ein bitterer Nachgeschmack bleiben. Die Wunde verheilte, aber die Narbe wird immer bleiben.
München, den 14. August 2006
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