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Kaffee- und Kuchen-Gespräche. IM und MB zu Besuch bei JH

Und der saß mal in der Schule und sollte einen Dreisatz ausrechnen. Und er kriegte das nicht in seinen Kopf. Und die St. stand auf, ging zu ihm hin und sagte, so, jetzt wollen wir das mal üben. Und dann nahm sie seinen Kopf, die Haare, nahm den Kopf und knallte ihn immer wieder auf die Tischplatte. In dem sie ihm diese Aufgabe erklären wollte, - im Takt hat sie ihm immer wieder den Kopf aufs Pult geknallt.

MB und IM waren am 19. März zum Kaffeetrinken bei JH eingeladen. IM erzählt von einem besonderen Erlebnis auf der Mädchenstation:

 Da war eine strohblonde Mitschülerin. Die bekam eines sonntags Besuch. Und als der Besuch auf die Station kam, wurden alle Kinder in die Schlafzimmer getrieben. Der Grund war der, dass die Mutter der Mitschülerin ihren dunkelhäutigen Freund mitbrachte. Sie wollte ihrem Lebensgefährten endlich einmal ihre Tochter vorstellen. „Neger“, wie man zu der Zeit zu Afrikanern sagte, wollte man den Kindern nicht zeigen. Und unverheiratet erst recht nicht. Solche Verbindungen galten unter den Schwestern als unsittlich und unanständig. IM habe sich in der Toilette versteckt, weil sie musste. Darum brauchte sie nicht ins Schlafzimmer und konnte heimlich den dunkelhäutigen Mann sehen.

 MB erzählte von einem Erlebnis mit Dr. Speitel (HNO-Arzt aus Wetter): „Wann war das? Das muss so 1958 gewesen sein, da war ich 8 Jahre alt. Da war ich zu Dr. Speitel zur Visite. Er hatte in der Klinik ein Behandlungszimmer. Und der war immer sehr nett. Vor den anderen Ärzten hatten wir ja immer Angst. Weißt du das noch? Dr. K. oder M. später.“ Zwischenfrage JH: „Wie hat sich Dr. K. denn euch gegenüber verhalten?“ IM: „Also ich weiß, dass er mich nicht mochte und das hat er mich auch spüren lassen. Ich war ja auch damals schon ein bisschen dick. Dann hat er da irgendwie Sprüche von sich gelassen. Und dann kam ich mal zu ihm hoch, oben in die Klinik, weil mit meinem Bein etwas war. Ich könnte ihm heute noch den Hals umdrehen. Ich hab nämlich immer noch die Drähte im Bein. Einmal sind schon die Knoten (scheinbare Folge der Drähte) rausgeholt worden und jetzt fängt das schon wieder an. Ich hab die Drähte im Knochen. Die haben ja das Bein verkürzt. Deswegen laufe ich ja auch so komisch. Dadurch ist das Bein ja 2, 3 Zentimeter kürzer geworden. Und dann haben sie mir den Klumpfuß gerade gemacht und mich wieder in die alten Schienen reingesteckt.“

 MB erzählte weiter über Dr. Speitel: „In der Klinik hatte er sein Sprechzimmer und da kam man hoch. Und dann hat er mich untersucht wegen meiner Nase. Ich lag immer abends im Bett oder saß im Bett und habe geschnauft, wie eine Verrückte, weil ich keine Luft gekriegt habe. Und dann blutete das auch manchmal. Dann hat er mich untersucht und hat dann gesagt, das müssen wir operieren. Da kam ich dann ins Krankenhaus und da hat er mich nochmal untersucht und hat gesagt, 14 Tage musst du mindestens hier bleiben; wir müssen dich erst mal aufpäppeln. Dann habe ich gehört, wie er zu einer Schwester sagte, die muss erst mal aufgepäppelt werden. Die konnten mich vorher nicht operieren, weil ich einfach zu dünn war. Und dann kriegte ich anständige Nahrung da oben in Wetter im Krankenhaus. Ich sag ja, das war toll da. Da waren Männlein und Weiblein zusammen im Kinderzimmer. Im Johanna-Helenen-Heim war das ja nicht möglich.“

 Frage JH an MB: „Wie hieß noch der andere Behinderte, über den du auch noch eine Geschicht schreiben wolltest?“ MB fragte IM: „Kennst du noch den Klaus-Dieter K.? Ein rothaariger Junge. Der war in der dritten Klasse oder vierten Klasse, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall wollte der anschließend nach Hessisch Lichtenau. Da war damals die einzige Möglichkeit (für Behinderte), ein Abitur zu machen. Klaus-Dieter K. – ich sehe ihn immer noch vor mir – der hatte rote Haare gehabt, ziemlich wüst und Locken. Der kam vom Bauernhof. Und die anderen Kinder sagten immer zu ihm ‚Schlempebauer‘. Und ich hatte damals das erste mal in meinem Leben überhaupt Cordhosen gesehen. Der hatte nämlich welche angehabt. Und der saß mal in der Schule und sollte einen Dreisatz ausrechnen. Und er kriegte das nicht in seinen Kopf. Und die St. stand auf, ging zu ihm hin und sagte, so, jetzt wollen wir das mal üben. Und dann nahm sie seinen Kopf, die Haare, nahm den Kopf und knallte ihn immer wieder auf die Tischplatte. In dem sie ihm diese Aufgabe erklären wollte, - im Takt hat sie ihm immer wieder den Kopf aufs Pult geknallt. Und dann hat sie gesagt, ich werde dafür sorgen, dass du nicht nach Hessisch Lichtenau kommst. Dieser Junge war nicht mehr lange in Volmarstein.”

Über Dr. Speitel wusste JH auch nur Gutes zu berichten. Damals, es muss 1963 gewesen sein, hat die Lehrerin St. ihm mit der flachen Hand so stark aufs Ohr geschlagen, dass er einen Knall in seinem Kopf spürte. Auf dem Ohr war er schlagartig taub. Bald danach fing das Ohr an zu eitern. Kein Arzt kümmerte sich darum. Auch Schwester J. kümmerte sich nicht darum. Tempo-Taschentücher gab es zu der Zeit noch nicht. Und Stofftaschentücher bekam JH nicht. Also wischte er den Eiter an seiner Hose ab. Er stank fürchterlich aus dem Ohr. Um die Ohrmuschel einigermaßen trocken zu kriegen, kratzte er den Eiter mit dem Fingernagel aus der Ohrmuschel heraus. „Eines Tages“, erzählte JH, „hörte das Eitern auf und ich dachte, jetzt ist alles gesund. Doch eines morgens weckte mich, wie oft, Bruder Twer auf. Er machte immer seine Späßchen, um uns aufzuheitern. Anders, als der Diakonenschüler K., der erst mal ein paar Kinder verhaute. Jochen Twer flachste also mit mir herum und ich lachte und grinste, wie ich es immer tat, wenn Bruder Twer mit mir herumalberte. Ihm fiel auf, was ich erst später bemerkte: Eine Gesichtshälfte bewegte sich nicht beim Lachen. Ich konnte lachen, wie ich wollte, es lachte nur die andere Hälfte. Ich glaube, er fragte nicht erst Schwester Jenny um Erlaubnis, sondern er packte mich gleich in sein Auto und fuhr mich ins wettersche Krankenhaus. Dort kam ich direkt in das Beleg-Zimmer von Dr. Speitel am Ende des Flures. Dr. Speitel untersuchte mich stillschweigend wenige Stunden später und machte ein ernstes Gesicht. Kurze Zeit später wurde ich operiert. Erst Jahre später habe ich erfahren, dass die Operation sechs Stunden gedauert hat. Ich weiß noch, Schwester Lydia setzte mir die Narkose auf, ich sollte Schäfchen zählen und auf einmal vernahm ich dumpfe Geräusche. Dr. Speitel erzählte mir später, dass er mir mit Hammer und Meißel hinter dem Ohr einen Knochen aufgehauen hat. Genau weiß ich nicht mehr, was er mir erklärte. Auf jeden Fall musste ich vier Monate lang im Krankenhaus liegen. Und so verbrachte ich auch die Weihnachtszeit dort. Heiligabend, ein Tag, an dem ich sehr traurig war, weil ich ganz alleine im Zimmer lag, ging nachmittags auf einmal die Tür auf. Dr. Speitel betrat das Zimmer und hatte eine riesige Tüte im Arm. Er sprach gar nicht viel. Er stellte die Tüte aufs Nachttischchen und nahm die Verpackung ab. Einen solchen wunderschönen, kleinen Weihnachtsbaum in einem Blumentopf, hatte ich nie gesehen. Winzige Kugeln hingen daran und auf den Zweigen lag weißer Schnee. Erst bei längerer Betrachtung sah ich, es war langgezogene Watte. Und auf den Ästen standen echte Kerzen. Und auf der Baumspitze war etwas glänzendes. Heute weiß ich nicht mehr, ob es ein Stern war, oder eine Spitze. Aber dieser Weihnachtsbaum hat mich über die Weihnachtstage gerettet.“

 JH erzählt noch über einen anderen Arzt, Chefarzt Dr. Hamm: „Fast jeden Tag musste ich zu Dr. Speitel, damit er mir immer ein Stückchen Verbandsstreifen aus dem Ohr ziehen konnte. Ich wurde ja operiert, weil der Eiter nach dem Schlag von St. nicht mehr abfloss, sondern sich um den Gesichtsnerv legte und diesen Nerv abdrückte. So soll ich zu dieser Gesichtslähmung gekommen sein. Während ich vor Dr. Speitels Behandlungszimmer saß, um hereingerufen zu werden, sah ich öfter mal einen älteren Mann in weißem Kittel mit einer roten Schlauchrolle in der oberen Kitteltasche. Hinterher erfuhr ich, dass dies ein Stetoskop war. Den Ohrbügel und diese silberne Horchmuschel sah ich ja nicht. Eines Tages sprach mich der ältere Mann an: `Was guckst du denn immer so traurig`, fragte er. Weil mir gar nicht einfiel, was ich so schnell sagen sollte, sagte ich ihm einfach: Ìch bin im hintersten Zimmer von Dr. Speitel und wenn das Essen da ist, ist es immer kalt`. Und außerdem habe ich immer großen Hunger. Von dem Tag an kam etwa zwei mal die Woche eine Schwester in mein Zimmer und gab mir zu verstehen, dass ich ihr folgen sollte in das kleine Arztzimmer von Dr. Hamm. Dort war ein kleiner Zettel mit drei oder vier Speisen, von denen ich eine aussuchen sollte. Das tat ich dann auch, und dann verließ die Schwester das Zimmer. Es war spärlich möbliert. Ein kleines Bett stand darin, aber ohne Bettrahmen. Heute weiß ich, es war eine Liege oder ähnliches, ein Tisch und zwei, drei Stühle drum herum. Und ich glaube ein Sessel stand auch im Zimmer. Manchmal nach einer halben Stunde, manchmal auch eher, kam Dr. Hamm. Fast gleichzeitig kam das Essen und die Schwester servierte es. Es war lecker! So etwas gab es im Johanna-Helenen-Heim nie. Danach gab es Nachtisch, auch so etwas kannte ich nur aus dem Krankenhaus. Aber das Hauptessen bei Dr. Hamm war viel leckerer, als auf der Station. Ich glaube, die Schwestern waren neidisch, dass ich so oft zu Dr. Hamm durfte. Mit den anderen Kindern schimpften sie schon mal. Ich wurde von ihnen nie ausgeschimpft. Und dabei hätte ich mich gar nicht über sie bei Dr. Hamm beschwert. Erstens aus Angst vor Schwestern überhaupt, außer vor Schwester Lydia. Zweitens, weil Dr. Hamm so gut wie nie mit mir sprach. Er kam, strich mir übers Haar, lächelte, setzte sich hin, aß, griff zur Zeitung. In der Zwischenzeit, in der er die Zeitung las, holte mich eine Schwester wieder ab. Ich kann mir denken, dass Dr. Hamm einfach viel zu müde war, um viel zu sprechen.